Der Neubeginn der SG Marßel im Damen-Tischtennis würde in der Bremen-Liga erfolgen – Coronavirus beendet jahrzehntelangen Höhenflug
Klaus Grunewald

Marßel. Jahrzehntelang hat die SG Marßel die führende Rolle im Bremer Damen-Tischtennis gespielt. In der 2. und 3. Bundesliga sowie in der Regionalliga. Dann kam das Coronavirus und beendete diese Dominanz abrupt. Der Absturz war tief, denn aktuell gibt es kein einziges Marßeler Frauenteam mehr. Tischtennis-Abteilungsleiter Detlef Wendenburg hofft natürlich, dass die Abmeldung nicht von allzu langer Dauer ist, kann seine Hoffnungen auf bessere Zeiten zurzeit allerdings nur auf vier Herrenteams und eine Schülermannschaft setzen.

Spitzen-Tischtennis im Norden Deutschlands war ohne die Damen der SG Marßel für die Fans dieses Sports jahrzehntelang kaum vorstellbar. Und dennoch müssen sie sich spätestens seit Beginn der neuen Regionalliga-Saison damit abfinden. Der Verein hatte die erste Damen nicht mehr für die kommende Saison in der Regionalliga Nord gemeldet, weil Trainer und Manager Thomas Bienert wegen der Corona-Pandemie keine konkurrenzfähige Formation mehr aufstellen konnte. Noch im April war Bienert optimistisch. Zwar zeichnete sich der Wechsel von Sofia Stefanska zum Drittligisten Großburgwedel ab, und auch hinter dem Einsatz der irischen Meisterin Sophie Early (14), international stark beansprucht, stand ein Fragezeichen.

Als Neuzugang vermeldete Bienert mit Faustyna Stefanska, der jüngeren Schwester von Sofia Stefanska, eine weitere hochtalentierte Jugendliche für das Regionalliga-Team. Der SGM-Coach, der die sportliche Entwicklung von Faustyna Stefanska als Vorsitzender der TTG Nord Holtriem hautnah miterlebt, war davon überzeugt, dass die 13-jährige Schülerin so spielstark ist, um in der Regionalliga Nord zu bestehen. Doch zu diesem Zeitpunkt im April konnte Bienert nicht ahnen, welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auch auf den Tischtennis-Sport haben würde.

Einen knappen Monat später sah die Lage denn auch düster aus. So musste der SGM-Manager davon ausgehen, dass seine Spitzenspielerin Elina Vakhrusheva vor und nach einem Spieltag jeweils 14 Tage in Quarantäne hätten gehen müssen – in Deutschland und in ihrer Heimat Ukraine. Darüber hinaus signalisierten ihm die Eltern der irischen Meisterin Sophie Earley, dass ihre Tochter wegen Corona und darüber hinaus wegen der vielen internationalen Verpflichtungen nicht mehr für die SG Marßel spielen werde.

Und schließlich torpedierte der Wechsel von Sofia Stefanska nach Großburgwedel die Zukunftspläne der SG Marßel. Fest planen können hätte Bienert nach Aufhebung der coronabedingten Einschränkungen nur mit seiner Tochter Jennifer, mit Klara Bruns und wohl auch mit Elina Vakhrusheva sowie mit Faustyna Stefanska, die freilich wegen ihrer Lehrgänge beim Deutschen Tischtennis-Bund nicht immer einsatzbereit gewesen wäre. Deshalb wäre die Verpflichtung einer weiteren Spielerin unbedingt erforderlich gewesen. Das aber klappte vor allem aus finanziellen Gründen nicht, hätten Interessentinnen doch auf Marßeler Kosten von weither anreisen müssen.

Thomas Bienert, genannt Bino, wohnt in Wittmund und nahm vor rund sechs Jahren Kontakt mit der SG Marßel auf, als sich seine Tochter Jennifer dem frischgebackenen Drittligisten anschloss. Zunächst fungierte er als Fahrer und Betreuer der Tischtennis-Damen, die von Margareta Gluza trainiert wurden. Von der Saison 2016/17 an übernahm Bienert das Kommando und den Job des Teammanagers. In der Regionalliga, in die der Nordbremer Verein freiwillig abgestiegen war – aus finanziellen Gründen.

Leistungsmäßig hätte die SG Marßel die dritte Liga halten können, denn eine Klasse tiefer gehörten Bienerts Schützlinge stets zum Kreis der Meisterschaftsfavoriten. Nicht nur, weil sie ihre spielerischen Stärken in die Waagschale legen konnten, sondern auch, weil sie die Betreuung und die familiäre Atmosphäre bei der SGM genossen. Dafür sorgte – zusammen mit seiner Frau – Edo Wellmann, der die Tischtennis-Sparte am 5. Juli 1965 gegründet hatte und als sein Kind bezeichnet, womit vor allem die ersten Damen gemeint sind. Marßels ehemalige Spitzenspielerinnen Katharina Michajlova und Lin Sievers sangen einst ein Loblied auf die Atmosphäre in der Landskronahalle, Heim-Arena der Marßeler Tischtennis-Damen: „Die Betreuung war optimal.“

Zahlreiche deutsche, vor allem aber ausländische Spitzenspielerinnen gaben der SG Marßel ihr Gesicht. Wie in den vergangenen Jahren Lin Sievers (jetzt Kieler TTK Grünweiß), Egle Orlovaite (demnächst beim BW Ottmarsbocholt), Irina Skachkova (wieder in Russland), Jessica Boy (spielt bei den Herren in Oldenburg), Nele Puls (Heiligenrode, Oberliga), Andrea Estrada-Muralles (nach Hochzeit zuletzt in Grenzau aktiv), Sofia Stefanska (3. Liga Großburgwedel), Katarina Belopotocanova (zuletzt in der Slowakei aktiv), Sophia Early (wieder in Irland), Elina Vakhrusheva (wieder in der Ukraine), Klara Bruns (SV Werder Bremen, Oberliga) und Jennifer Bienert (SC Poppenbüttel, 3. Bundesliga).

Jahrzehntelang galt Marßel als Synonym für Tischtennis-Spitzensport. Das ist nun vorbei. Doch wie beurteilen Thomas Bienert und Abteilungsleiter Detlef Wendenburg die Chancen für eine Rückkehr zunächst einmal in die Regionalliga? Ihre Antwort: „Eine Damenmannschaft müsste unten anfangen, also in der Bremen-Liga, und sich mindestens sieben Jahre lang kontinuierlich nach oben arbeiten, also regelmäßig aufsteigen.“ Das ist aus heutiger Sicht nur mit einem Sponsor, wie es einst der verstorbene Heiner Lachmund war, möglich, der die Fahrt- und Unterbringungskosten der Mannschaft beglichen und Handgelder gezahlt hatte. Edo Wellmann rückblickend: „Heiner Lachmund war für die SG Marßel ein Glücksfall.“
Erhebliche Kosten

Um auf hohem Niveau Tischtennis zu spielen, müssten erhebliche Kosten für Vereinsmeldung, Reisen, Verpflegung und Übernachtung beglichen werden, erläutert Bienert. Zumal man ohne ausländische Spielerinnen kaum auskommen könne.

Die SG Marßel, so der ehemalige SGM-Manager, habe darüber hinaus jahrelang Glück mit lokalen Talenten gehabt, die er als Jugendwart und Trainer im Tischtennis-Bezirksverband Weser-Ems nach Marßel habe lotsen können. Zuletzt zum Beispiel die Bundeskader-Spielerin Faustyna Stefanska. Außerdem konnte die SGM über die Kontaktschiene zu den Tischtennis-Bundesligaspielern des SV Werder Bremen, Talente in die Landskronahalle lotsen. Dennoch, so Bienert, sei die Finanzierung jeder Spielserie eine Gratwanderung gewesen.

Detlef Wendenburg will nun versuchen, zur neuen Saison (wahrscheinlich im September 2021) eine neue Damenmannschaft in der Bremen-Liga zu melden und dafür Spielerinnen zu gewinnen. Momentan stehen bei der SG Marßel drei aktive Frauen an der Platte, die in der dritten beziehungsweise vierten Herrenmannschaft mitmischen. In der Zweiten kämpft übrigens auch Edo Wellmann um Punkte und gute Platzierungen für die SG Marßel, die rund 70 Aktive zählt und deren Aushängeschild gegenwärtig das in die Bremen-Liga aufgestiegene erste Herrenteam ist – Detlef Wendenburg traut diesem den Sprung in die Bezirksliga zu.

Aus "Die Norddeutsche" vom 25.11.2020